Der Lohn der Angst

 
– 1 –

Heute still im Morgengrauen
da war ein dünner Nebelschleier
Deckung deiner Tränen
wie du noch lagst in deiner Blässe
mein klarer Fluss in seinem Bett

Ich sah’s als ich am Fenster stand und
mein Mund so trocken war
und ich noch gern genommen hätte
etwas Schnee
vom blanken Ufer deiner Lippen

Doch statt deiner fühlte ich
im Lichtschein des Petroleums
der Tasche braunes Leder
mit allem was es brauchte
schwer auf kalter Schulter

Heute morgen
in aller Frühe
deiner niedergeschlagenen Augen
da sagt ich dir
leb wohl

– 2 –

Über graues Feld dann
ein Läufer
hinüber aus dem Wohnblockweiß
hinüber auf die andre Seite
und plötzlich flammte Feuer auf
am Rand der Stadt
das Grau in Schwarz und Weiß zerlegend

Er hat mich nicht gesehen
ich schon
in einer Pfütze
häusermauern barg ich mich
und hinter starrer Maske
Eis
bis der Lärm sich legte

Verräter
dacht ich überall
würde mein Umhang mich verbergen

Und langsam zog der Tag herauf
Verräter
der auch ich nun einer bin

– 3 –

Brücken führen nach der Stadt
im Sonnenauf und Untergang
da wartet Müdigkeit
der Freund
umschlägt die Wachen
nach Harren
lang und frostig

Heißes Nadelöhr
so hieß es
über Funkkontakt
zur rechten Zeit
lös ich mich aus blauen Schatten

Das Stahlskelett am kalten Fluss
trägt dicke Stiefel aus Beton
und ich bring die Geschenke
an
wie in Gedanken
lass es knistern
wie Lametta
Wassermond
Schritte durch Umarmung
FRost

– 4 –

Es dröhnt so hoch im Wolkenlärm
fette Vögel ziehn vorüber
ungesehen und nicht nach Süden
werden fern erst niederkommen
und zu spät
die Straßenherden
rumpeln schieben nähern
sich vergebens
darum bin ich hier
und blinzle

Es fallen Träger erst
dann bellen Schüsse
Menschen um mich her
zu Wasser bergendkalt
zu Boden nadelweich

Allmählich steigt Bewusstsein auf
und jetzt heißt es
oder nie

Ich steig
den Hang hinan die Sterne
nicht mehr weit von mir
verklingen dort am Horizont
die Bohrungen

– 5 –

Am Pass
liegt silbern eine Rast
und es glänzt in meiner Tasche noch
der kleine Apfel aus dem Garten
deiner Hand
schon etwas schrumplig jetzt im Winter
aber grad so wertvoll
seh es glitzern
und das Waldstück vor mir fällt mich an

Hinter Felsensplitterfliegen
liegt ganz fern
und klein nun Heimat
feine Blässe
der Mondhelm über mir
Äste krallen himmelwärts
und Fauchen Krachen Beißen

Der Karabiner ist mir treu
an der Felswand hellem Schimmern
und plötzlich kehrt die Ruhe ein
und erstmals wieder hör ich Wind
und seh den Tag am

– 6 –

Es wird hell
du siehst mich kommen
kalte Luft auf deiner Haut
wartest in der Tür auf mich
doch schweigend lehnend
und also lächelt niemand

Da geht ein neuer Morgen auf
und um mich bleibt es dunkle Nacht
denn du bist wach
lässt mich alleine schlafen
ich seh’s dir an
siehst mich nicht mehr
wartest auf einen der da kommt
fort geht
nicht bleibt
am Gegenort

 

 

Erstveröffentlichung in: Heute/Über/Brücken. Bohrungen am Gegenort. Broschüre zur Lesung der Schreibwerkstatt im Rationaltheater München am 18.01.2011, S. 24-29.